Teil 13: Der Turmbau zu BabelMehrsprachige Dokumentation des ManagementsystemsUrsprünglich veröffentlicht von Jasmin Schreiner, Pepperl+Fuchs GmbH |
Die Vertriebsprozesse bei Pottbäcker sind ausgereift und im Managementsystem dokumentiert. Am englischen Standort Potbakersfield läuft der Vertrieb jedoch anders als in Deutschland. Der Grund: Die Prozessdokumentation existiert bisher nur auf Deutsch. Wie lassen sich die beiden Systemwelten synchronisieren?
Seit drei Monaten leitet William Morris den Vertrieb in Potbakersfield. Nach vielen Jahren in Deutschland freute er sich, wieder in seiner englischen Heimat zu arbeiten. Und das mit einem interessanten Auftrag seines deutschen Arbeitgebers: Vertriebsleitung Potbakersfield. "Ein Karrieresprung!" dachte er. Doch die Erfahrungen vor Ort belehrten ihn eines Besseren. Nichts lief in Potbakersfield wie am deutschen Stammsitz. Vertriebsmitarbeiter Peter Sell erklärte unverblümt: "Warum auch? Ihr sagt uns zwar in der Prozesslandschaft, was zu tun ist. Aber wir können es doch gar nicht lesen! Und beteiligt an der Erstellung waren wir auch nicht." Eine bittere Wahrheit, die eine Frage aufwirft: Wie konnte es zu dieser Situation kommen?
Babylon in Potbakersfield?
„Die Firmensprache bei Pottbäcker war zunächst naturgemäß Deutsch. Lange Zeit war dies selbstverständlich und alle Mitarbeiter passten sich an – so gut sie eben konnten. Durch die Gründung in Potbakersfield gewann das Thema Sprache eine neue Bedeutung, erste Zweifel kamen auf. Sollte man auf Englisch als Allgemeinsprache umstellen? Damit wäre man zwar in Potbakersfield zufrieden, aber viele deutsche Kollegen hätten dann ihre Schwierigkeiten. Würde ausschließlich Deutsch gesprochen, wäre man nicht einmal in der Entwicklungsabteilung von Pottbäcker gut aufgehoben, denn auch die deutsche Entwicklungsabteilung arbeitet zunehmend mit der englischen Sprache. Durch den Kontakt mit vielen internationalen Kollegen, insbesondere im Bereich Design, hat sich dies als einzig praktikable Lösung bewährt.
Im beruflichen Alltag herrscht je nach Standort eine Schwerpunktsprache vor. Und die Mitarbeiter am Standort sprechen natürlich ihre Muttersprache. "Wir können die anderen nicht zwingen, komplett Deutsch zu sprechen", so das vorläufige Fazit von Mr. Morris. "Wir müssen mehrsprachig werden, wir müssen übersetzen!".
William Morris
Leitung Vertrieb am Standort Potbakersfield
Den Sprachknoten lösen! Aber wie?
Mr. Morris wusste, dass die Prozessmanagement-Software mehrsprachig war. Es bestand also die Möglichkeit, in mehreren Sprachen über die Software zu korrespondieren. Doch schon in einem ersten Gespräch mit Frau Macchiato wurde klar, dass vor der eigentlichen Übersetzung viele Fragen zu klären waren:
- Wer übersetzt?
Der für den Prozess oder das Dokument zuständige Mitarbeiter? Muttersprachler aus dem Unternehmen? Externe Übersetzer? - Wer schreibt die Originaltexte?
Die Erfahrung zeigt: je mehr Leute schreiben, umso unterschiedlicher wird der Inhalt und umso schwieriger wird eine Übersetzung. Und nach einer Analyse der Ausgangstexte zeigte sich, dass diese weder ähnlich im Schreibstil, noch in der Wortwahl sind. "Aber das ist auch kein Wunder, denn wir haben kein Wörterbuch mit Standardbegriffen. Wie sollen die Mitarbeiter für gleiche Sachverhalte die gleichen Begriffe verwenden, wenn es keine Regelung gibt? Nicht in Deutsch und nicht in Englisch!" - Was übersetzen wir?
Alle Prozesse? Mit allen Details? Alle Dokumente? - Wann übersetzen wir?
Nach und nach, so wie Bedarf da ist? Alles auf einen Schlag? - Wie gehen wir mit Änderungen um?
Wenn die Dokumentation zweisprachig ist, muss von da an auch jede Änderung zweisprachig erfolgen. - Wie viel Arbeit bedeutet das? Was kostet uns das?
Nur wenn man Standards hat, kann der Aufwand gering gehalten werden.
Alles und alles auf einen Schlag!
In Summe waren das deutlich mehr Fragen als Antworten, mit denen Mr. Morris und Frau Macchiato konfrontiert waren. Und in dieser Phase dachten beide: Babylon lässt grüßen! Glücklicherweise wurde die Software von Anfang an zweisprachig implementiert. Alle Worte und Texte aus der Anwendung wie Menüs und Befehle existieren in Deutsch und Englisch. Zudem gibt es Funktionen und Hilfen zur Übersetzung. Mit einer Online-Übersetzungshilfe kann ein Mitarbeiter seinen Prozess bzw. seine Dokumente sofort übersetzen. Wenn längere Texte übersetzt werden sollen, können die Inhalte (z.B. alle Prozesse) in eine Excel-Liste exportiert werden. Diese wird dann zu einem Übersetzungsbüro geschickt, dort übersetzt und wieder ins System importiert – fertig ist die Laube!
Die Anfragen seitens der Mitarbeiter häuften sich: "Wir brauchen das Formular für Reklamationen in englischer Sprache. Könnt Ihr uns das übersetzen? Oder sollen wir es selbst versuchen?" An dieser Stelle musste Frau Macchiato bremsen: "Wir können nicht gleich loslegen, sondern müssen strukturiert vorgehen!" Das war die Geburtsstunde eines Vorgehensmodells für Übersetzungen:
- Was?
ALLES! Prozesse UND Dokumente. Organigramm, Rollen etc! - Wann?
Wenn die Prozesse in der Basissprache vollständig beschrieben, stabil und freigegeben sind. - Wer übersetzt?
Ein professioneller Übersetzer.
Feste Regeln!
- Jeder der ändert, ändert entweder gleich beide Sprachen (mit der Funktion der Online-Übersetzung) oder ist dafür verantwortlich, die Übersetzung zu veranlassen. Der Übersetzer steht weiter zur Verfügung.
- Ein zweisprachiges Wörterbuch wird aufgebaut, das alle benutzen sollen!
- Eine Master-Sprache wird festgelegt: Im Zweifel gilt Deutsch.
- Jede Änderung oder Ergänzung muss zukünftig auch übersetzt werden. Pottbäcker ist jetzt zweisprachig!
Alle Inhalte sind nun in beiden Sprachen verfügbar. Das ist der erste Schritt – und es war ein großer Schritt. Ein mehrsprachiges Managementsystem bedeutet viel Arbeit und bleibt eine Daueraufgabe. Frau Macchiato und Mr. Morris resümieren: "Es wird nie perfekt sein, aber insgesamt gewinnen wir mit der Mehrsprachigkeit!"